Im Zuge der Digitalisierung bieten sich nicht nur für Sparkassen und Banken neue Möglichkeiten, Lösungen für die damit verbundenen Herausforderungen zu entwickeln. „Distributed Ledger“ heißt die Technologie, mit der Daten fälschungssicher und effizient verarbeitet werden können. Die Technik bildet die Grundlage von Kryptowährungen wie dem Bitcoin, ist aber bei weitem nicht auf digitale Währungen beschränkt. Jens Keller und Dr. Matthias Leclerc haben untersucht, welche Auswirkungen Blockchain-Anwendungen auf deutsche Banken haben können. Neben Anwendungen für virtuelle Währungen und den Zahlungsverkehr zeigen Sie dabei auch die Bedeutung von Initial Coin Offerings (ICO) und Smart Contracts auf. Im Interview geben uns die beiden Experten Antworten auf die Frage: „Was bleibt vom Hype?“
„Für regionale Banken könnte die neue Technologie die Zusammenarbeit zwischen den Instituten auf eine neue Basis stellen“
Rheinhessen Sparkasse: Herr Keller, Herr Dr. Leclerc, die Digitalisierung erfasst viele Bereiche unseres täglichen Lebens, so auch Bankdienstleistungen. Seit einiger Zeit taucht der Begriff der „Blockchain“-Technologie regelmäßig im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen auf. Erste Kreditinstitute, etwa die Landesbank Baden-Württemberg oder die DekaBank, setzen die Technik bereits ein. Worin liegen die Vorteile? Wird eine Bank zukünftig noch ohne den Einsatz dieser Technologie auskommen?
Jens Keller: Wir verwenden gern den etwas allgemeineren Begriff „Distributed Ledger“; deren wesentlicher Vorteil liegt darin, eine lückenlose Dokumentation von Statusänderungen auf elektronischer Basis sicherzustellen. Durch die dezentrale Speicherung wird ein besonders hohes Maß an Sicherheit angestrebt. Aufgrund der notwendigen Infrastruktur und der Notwendigkeit zur Akzeptanz dezentraler Speicherung dürfte die Technologie zunächst vor allem für den Interbankenmarkt und dort für die größeren Institute interessant sein.
Jens Keller ist Experte bei Horn & Company für strategische Fragestellungen, Digitalisierung, Organisation sowie Prozess- und Risikomanagement. Als Berater von Sparkassen, Banken und Versicherungen liegt sein Schwerpunkt im Bereich Steuerung und Regulatorik, insbesondere im Kapitalmarkt- und Wertpapiergeschäft.
Dr. Matthias Leclerc ist Partner bei Horn & Company und daneben Honorarprofessor für angewandte Mathematik und Financial Engineering. Er berät Banken und Asset Manager im Kapitalmarkt- und Wertpapiergeschäft. Zentrale Fragen für ihn sind dabei Strategie und Prozess-
organisation, oft in Verbindung mit IT-Themen.
Rheinhessen Sparkasse: In Ihrem White Paper (Anmerkung: Jüngst veröffentlicht in Die Bank, 2019, Nr. 1) zum Veränderungspotenzial der Blockchain-Technologie haben Sie mit Kryptowährungen, ICOs, und Smart Contracts Anwendungsbereiche analysiert, die für Finanzdienstleister weltweit eine hohe Relevanz aufweisen, da sie deren Kernbereiche – Zahlungsverkehr, Kredit- und Kapitalmarktgeschäft sowie interne Prozesse – betreffen. Wie nehmen Kreditinstitute dieses Potenzial bislang wahr? Können Sie sich weitere Anwendungsfälle vorstellen, von denen gerade auch regionale Kreditinstitute profitieren könnten?
Dr. Matthias Leclerc: Für regionale Banken könnte die neue Technologie die Zusammenarbeit zwischen den Instituten auf eine neue Basis stellen. Dies kann zum einen Produkte betreffen, die ersten Beispiele rund um Schuldscheindarlehen zeigen die Richtung auf. Zum anderen erscheint insbesondere das Themenfeld Smart Contracts spannend. Hier könnten Kooperationen angestoßen werden, um bspw. Know-Your-Customer-Prozesse (Anmerkung: Legitimationsprüfung zur Verhinderung von Geldwäsche) im Firmenkundensegment zu bündeln. Für Banken empfiehlt sich daher, die Entwicklung von Smart-Contract-Anwendungen eng zu beobachten. Die ersten Projekte im Bereich der Wertpapierabwicklung und Stellungnahmen der Bankenaufsicht zeigen, dass diesem Thema eine potenziell große Bedeutung beigemessen wird.
Vertrauenswürdigkeit und Effizienz
Rheinhessen Sparkasse: Die Relevanz der Blockchain-Technologie hat dazu geführt, dass die Bundesregierung eine Blockchain-Strategie vorlegen will. Welche Aspekte sind Ihrer Meinung nach besonders wichtig? Gibt es bereits Strategien in anderen Ländern, mit denen das Thema Blockchain erfolgreich umgesetzt wurde?
Jens Keller: Im Kern geht es um zwei Punkte: Vertrauenswürdigkeit und Effizienz. Die Technik sollte helfen, mindestens in einem dieser Punkte einen Mehrwert zu bieten. Im Umkehrschluss heißt dies aber auch, nicht zwangsläufig alles in die Blockchain „zu packen“. Als Musterschüler gelten Schweden und Georgien, die beide ihr Grundbuch in die Blockchain übertragen haben (eine ähnliche Initiative in Honduras vor einigen Jahren darf allerdings als gescheitert gelten). Wichtig ist vor allem, dass alle potenziellen Nutzer einen leichten Zugang zu der Technologie erhalten.
Rheinhessen Sparkasse: Schweden plant ab diesem Jahr den Praxistest der „E-Krona“, der digitalen Krone auf Blockchain-Basis. Damit wäre Schweden das zweite Land weltweit, das eine staatliche Kryptowährung einführt. Großbritannien, Iran und Russland haben bereits großes Interesse an staatlichen Kryptowährungen gezeigt. Sehen Sie perspektivisch den E-Euro kommen?
Dr. Matthias Leclerc: Kurz- und mittelfristig eher nicht. Schweden ist ein besonderes Beispiel, da dort die bargeldlose Zahlungsweise sehr ausgeprägt ist und darüber hinaus die Zentralbank mit der Maßnahme die Abhängigkeit von großen ausländischen Zahlungsverkehrsdienstleistern reduzieren will. Für den Euroraum wird auf kurze Sicht spannender sein, wie die Zahlungsdiensterichtlinie PSD II (Anmerkung: „Payment-Service-Directive 2“ – EU-Richtlinie der Europäischen Kommission im Zahlungsdiensterecht) den Wettbewerb unter den Banken und die Kooperation mit FinTechs beeinflussen wird.
„Der Einsatz von Distributed-Ledger-Anwendungen kann perspektivisch zu erheblichen Veränderungen führen“
Rheinhessen Sparkasse: Welche Bedeutung könnten virtuelle Währungen konkret im SEPA-Raum (Anmerkung: Single Euro Payments Area – Einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum) entfalten?
Dr. Matthias Leclerc: Der Einsatz von Distributed-Ledger-Anwendungen kann perspektivisch zu erheblichen Veränderungen führen, die sich aus Kundensicht eher im Hintergrund abspielen werden. Klassische Korrespondenzbanksysteme werden modernen Ansprüchen an Transaktionsdauer oder währungsübergreifende Transaktionen zukünftig nicht mehr gerecht. Unternehmen wie Ripple haben dies bereits erkannt und bieten mit ihrem Protokoll sichere, skalierbare und nahezu sofort liquiditätswirksame Transaktionen zwischen beliebigen Teilnehmern an. Da hier der Faktor Vertrauen aber nicht außer Acht gelassen werden kann, könnte das mittelfristige Resultat eine Mischform beider Welten sein.
Rheinhessen Sparkasse: Wie ist Ihr Fazit? Werden wir Distributed Ledger Technologien schon in Kürze nutzen? Und werden wir die Auswirkungen dieser Technologie auch direkt spüren?
Jens Keller: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bereits auf kürzere Sicht vielfältige Ansatzpunkte zur Nutzung von Distributed-Ledger-Anwendungen durch Kreditinstitute ergeben. Allerdings sind wir der Ansicht, dass die Blockchain-Technologie eher evolutionär als disruptiv im Finanzsektor Anwendung finden wird. Die Durchsetzbarkeit bei Banken wird auch davon abhängen, wie Distributed-Ledger-Anwendungen reguliert werden. Sofern dabei originäre Bankgeschäfte berührt werden, muss gesichert sein, dass die Erlaubnis zum Betreiben dieser Geschäfte unverändert ordnungsgemäß erfolgt und die bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllt sind. Den „großen Knall“ erwarten wir daher nicht. Langfristig ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich vollkommen neue Konzepte auf Basis der Technologie ergeben, die zu völlig neuen Geschäftsmodellen im Bankgeschäft führen können.
Herr Keller, Herr Dr. Leclerc, wir danken Ihnen für das Interview!