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Kryptowährungen umgibt eine Aura des Geheimnisvollen. Viele Menschen versprechen sich hohe Gewinne, täglich gibt es neue Meldungen und viele Spekulationen. Das eigentliche Potenzial von Ripple, IOTA und Co. besteht aber nicht darin, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen – oder zu verlieren – sondern in der angewendeten Technik. Blockchain heißt das Zauberwort. Ein schmächtiger junger Mann von gerade einmal 24 Jahren sorgt seit 2013 mit seinen Visionen und Entwicklungen für sehr großes Aufsehen, denn er hat die neue Technik weiter gedacht als alle anderen.

Vom russischen Wunderkind in der Schweiz

Es riecht nach Idylle in der Schweizer Voralpenlandschaft. An die Ufer des Zugersees und an die Hänge des Zugerbergs schmiegt sich die 30.000-Einwohner-Stadt Zug. Am Horizont zeigen sich die Berge der Alpen mit ihren beeindruckenden Gipfeln, weiße Spitzen ragen selbst im Sommer in den Himmel. Hier, knapp 30 Kilometer Luftlinie von der Deutschen Grenze entfernt hat Vitalik Buterin den Firmensitz der Stiftung Ethereum errichtet.

Vitalik Buterin wächst als Kind russischer Auswanderer in Kanada auf. Vor gerade einmal sieben Jahren, im Alter von 17, kommt er durch seinen Vater, einen Software-Unternehmer, zum ersten Mal mit Bitcoin in Berührung. Sein Interesse daran geht so steil nach oben, wie die Hänge der Gipfel, auf die er heute schaut. Buterin spielt damals, wie viele Gleichaltrige auch, Online-Computerspiele und steht in der digitalen Welt vor einem ziemlich realen Problem: Wie soll er fiktive Waren und Ausrüstungsgegenstände für das Computerspiel kaufen? Zahlungsmittel, die er auch online einsetzen kann, hat er nicht. Ohne Kreditkarte kommt er nicht weiter. Doch als Freund anarchistischer Literatur fallen Eigenschaften von Bitcoin wie Anonymität und Sicherheit bei ihm auf fruchtbaren Boden und er realisiert, dass Zahlungen direkt zwischen zwei Beteiligten möglich sind.

Vitalik Buterin beginnt, Artikel für einen Fachblog zu schreiben und verdient sich damit eigene Bitcoin. Er arbeitet sich tiefer in die Welt der Kryptowährung hinein und ist schon bald eine führende Stimme in der Bitcoin-Szene. Schwergefallen ist ihm das nicht. Als Autodidakt hat er sich auch Mandarin beigebracht und schon mit 18 Jahren gründet er das „Bitcoin Magazine“. Bald wird ihm klar, dass die Blockchain noch mehr Möglichkeiten bietet, als mit Bitcoin Geld zu verdienen.

Der digitale Revolutionär

Vitalik Buterin

von Romanpoet [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], vom Wikimedia Commons

Die Firmenzentrale der Stiftung Ethereum ist in einem modernen Bau untergebracht. Zwischen Mehrfamilienhäusern steht ein schmuckloses Gebäude wie auf zwei großen Stelzen. Gerade Flächen und rechte Winkel prägen das funktionale Haus, die Fenster, schmal wie Schießscharten, verbergen den Blick ins Innere. Selbst die Hecke an der Grundstücksgrenze folgt dieser kompromisslosen Formensprache und ist schnurgerade und akkurat gestutzt. Das Herzstück, der Think-Tank, den es beherbergt, ist von außen aber nicht erkennbar. Auf den ersten Blick mag solch ein Haus gar nicht in die Voralpen-Landschaft passen. Doch es passt wie angegossen zu Vitalik Buterin, auch ihn hält man nicht für einen brillianten Vorreiter digitaler Technik, wenn man ihn zufällig beim Einkaufen trifft. Bei Begegnungen mit anderen Menschen wirkt er zurückhaltend, schüchtern. Das passt zu seinem Äußeren. Doch im Netz ist er einer der ganz Großen. In der realen Welt findet er kaum jemanden, der es mit ihm aufnehmen kann, erst im Internet „begegnet“ er Menschen, die seinem Intellekt gewachsen sind. Er erkennt, dass mit der Blockchain ein dezentrales Verzeichnis für Vermögensgegenstände jedweder Art geschaffen werden kann – egal ob Haus, Auto, Aktie oder Kryptowährung. Doch sein Vertrauen in das Internet wird im Jahr 2013 durch den NSA-Skandal erschüttert. Buterin beschließt, seiner Universität den Rücken zu kehren und reist stattdessen ein halbes Jahr lang um die Welt, um die Revolution voranzutreiben. Dabei lernt er Entwickler kennen, die große Problemen dabei haben, sog. „Smart Contracts“, selbstausführende Verträge, mit der bisherigen Blockchain zu verwirklichen. Er beschließt, was bis dahin als Sakrileg gilt: Die Schaffung einer neuen Blockchain: Ethereum.

Die Besonderheit bei Ethereum ist, dass es die Blockchain hierbei ermöglicht, „Smart Contracts“, auch DApps (decentralized applications = dezentralisierte Anwendungen) zu verwenden. Das sind wenn-dann-Bedingungen, die in der Blockchain gespeichert sind. Eine eigene Kryptowährung dafür liefert Vitalik Buterin gleich mit: Den Ether.

Schon bald stehen namhafte Programmierer bei ihm Schlange. Ethereum wird weiterentwickelt und Firmen wie Samsung oder IBM möchten Buterins Software ausprobieren. Denn er hat eine Lösung für ein Problem gefunden, das viele Unternehmen beschäftigt: Vertrauen. Ethereum benötigt kein Vertrauen, denn durch die Blockchain wird alles, was darin gespeichert ist, mit Mathematik bewiesen. Betrüger haben keine Chance. In der Anwendung ergeben sich daraus unendlich viele Möglichkeiten. Geld von einer Person zu einer anderen senden. Internationale Warenlieferungen, bei denen sich der Frachtcontainer erst dann öffnet, wenn auch die Bezahlung der Ware erfolgt ist. Schon heute wird Blockchain-Technologie aktiv genutzt. Und auch die Kryptowährung Ether erfreut sich großer Beliebtheit. Nach wenigen Jahren nur sind Ether im Wert von 100 Milliarden Dollar im Umlauf. Im Hintergrund ist die Revolution schon in vollem Gange. Lautlos, aber unaufhaltsam. Und Vitalik Buterin wird sie sicherlich aktiv mitgestalten.

Daran arbeitet er jeden Tag. Ohne Arbeit sei ihm langweilig. Dabei könnte er sich auf seinem Erfolg eigentlich ausruhen. Vorstände und Führungspersonal von Banken, Versicherern und Beratungsfirmen hängen an seinen Lippen, wie der Schnee an den Bergen. Sie haben erkannt, welches Potenzial mit Ethereum in greifbare Nähe gerückt ist. Und wenn Bitcoin selbst gegen den Widerstand einiger Staaten solche Verbreitung gefunden hat, was mag dann mit Ethereum möglich sein?