Will man wissen, wie es um die Nachhaltigkeit in Deutschland steht oder was der Ausstieg der USA aus dem Klimavertrag bedeutet, dann ist Prof. Dr. Klaus Töpfer der richtige Ansprechpartner. Unsere Kollegen vom fondsmagazin haben mit dem ehemaligen Bundesumweltminister, Direktor des UN-Umweltprogramms und Gründer des Potsdamer Instituts für Nachhaltigkeitsforschung ein Interview zum Thema Nachhaltigkeit geführt.
In Ihrer Zeit als Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms haben Sie Nachhaltigkeit zu einem globalen Thema gemacht. Wo setzt man da an, gerade in Bezug auf wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede?
Nachhaltigkeit in Burkina Faso bedeutet etwas gänzlich anderes als in westeuropäischen Ländern. Die zentrale Ausgangsfrage in Bezug auf Afrika lautet: Wie kann man Armut und Hunger überwinden? Nachhaltigkeit bezieht sich ja nicht explizit nur auf die Umwelt, sondern auch auf wirtschaftliche Stabilität und sozialen Ausgleich. Dort gilt es anzusetzen. Generell muss man Auswirkungen nicht-nachhaltigen Wirtschaftens erkennen und sukzessiv abarbeiten. In Deutschland und anderen Industrienationen sind das beispielweise Faktoren wie der hohe Flächen- und Ressourcenverbrauch und die gravierende Problematik der Luftbelastung, die mit der Dieseldiskussion gerade wieder in den Fokus der breiten Öffentlichkeit rückt.
Mithin Probleme, die einen Paradigmenwechsel erfordern…
Der Kern unserer Arbeit als Nachhaltigkeitsexperten besteht darin, vor Wirtschaft, Gesellschaft und Politik schlüssig und verständlich zu belegen, dass mit weniger Belastung der Umwelt und mit sozialer Stabilität der wirtschaftliche Wohlstand durchaus erhalten, ja sogar weiterentwickelt werden kann. Das aufzuzeigen, war, ist und bleibt unsere wichtigste Aufgabe.
Inwieweit ist das hierzulande schon gelungen? Wie nachhaltig sind die Deutschen?
Es gibt einige Indikatoren, die darauf hinweisen, dass Deutschland gute Fortschritte gemacht hat. Zum Beispiel, dass immer mehr Unternehmen Jahr für Jahr substanzielle Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Oder dass die Energiewende stetig weiter vorangetrieben wird. Auch der Kampf gegen die Verpackungsberge zeigt allmählich Wirkung. Erfolge gibt es zudem im Ökolandbau und bei der Abwasserbehandlung. Diesen positiven Entwicklungen stehen aber nach wie vor erhebliche Probleme auf dem Weg zur Nachhaltigkeit gegenüber. Ein besonders wichtiges Beispiel: Deutschland wird die selbstgesteckten Klimaziele 2020 krachend verfehlen. Es geht aber in erster Linie nicht um die Erfüllung einer Agenda, sondern vielmehr um eine generationenübergreifende Herausforderung, die uns immer wieder vor neue Probleme stellt und kontinuierlich zwingt, an Lösungen zu arbeiten.
Wo herrscht denn noch Aufholbedarf?
Wenn wir in puncto Nachhaltigkeit auf den Naturhaushalt schauen, dann ist der Verlust der Artenvielfalt nach wie vor ein sehr großes Problem. Zudem lösen unsere Eingriffe in Flussverläufe und Landschaften auch Folgekatastrophen wie Überschwemmungen oder die zunehmende Belastung unseres Grundwassers aus. Auch beim Thema verantwortungsvolle Mobilität herrscht dringender Handlungsbedarf. Wir brauchen ganz dringend eine Verkehrswende, das darf nicht länger verschlafen werden. Auf die Fehlentwicklung der Klimapolitik habe ich bereits hingewiesen.
Sie haben während Ihrer UN-Tätigkeit acht Jahre lang in Nairobi/Kenia gelebt. Was können wir zum Thema Nachhaltigkeit von den Afrikanern lernen?
Nachhaltigkeit ist auch eine soziale, gesellschaftliche Herausforderung. Kulturelle Identität, gesellschaftlicher Zusammenhalt, soziale Sicherung sind untrennbar Bestandteil von Nachhaltigkeit. Das beginnt in engen Familienverbünden und gewachsenen Clanstrukturen, wo man sich gegenseitig unterstützt und hilft sowie Dinge des alltäglichen Lebens teilt und austauscht. Da sind uns unsere afrikanischen Nachbarn eindeutig voraus. In unserer Überflussgesellschaft herrscht ja eine regelrechte Wegwerfkultur, vor allem bei Lebensmitteln, die sehr energieintensiv in der Herstellung und Verpackung sind. Das wird man in Afrika so nicht erleben. Da wird Essen ganz anders wertgeschätzt, auch weil Grundnahrungsmittel selbst angebaut, geerntet und geschlachtet werden. Bei uns fehlt die Demut vor Nahrung und ihren Ursprüngen. Damit geht ein essenzieller Aspekt von Nachhaltigkeit verloren.
Ihr aktuelles Engagement gilt der Bodennutzung. Welche mittel- und langfristigen Gefahren drohen, wenn wir die Böden weiterhin so ausbeuten wie bisher?
Wir leben in einer Welt, die bald neun Milliarden Menschen tragen und ernähren muss. Umso wichtiger sind also gesunde und leistungsfähige Böden für die Nahrungsmittelerzeugung. Leider ist das im weltweiten Maßstab nicht der Fall; im Gegenteil, wir verlieren jedes Jahr weltweit rund 24 Milliarden Tonnen Boden allein durch Erosionen, Kontaminationen – andere Ursachen gar nicht mit eingerechnet. Die Kluft zwischen zwingender Notwendigkeit und tatsächlichem Bestand an Böden wird mit jedem Tag größer. Böden sind der vergessene Teilbereich unserer natürlichen Umwelt. Mit Forschung und Wissenschaft, aber auch durch eine allgemeine Verhaltensänderung müssen dringend langfristige Lösungen erarbeitet werden. Sonst sind Massenfluchten und Hungersnöte erst der Auftakt zu noch größeren Katastrophen.
Die USA haben unter Donald Trump gerade das Pariser Klimaschutzabkommen aufgekündigt. Wie schwerwiegend ist dieser Tatbestand?
Der G20-Gipfel in Hamburg hat gezeigt, dass die anderen Nationen zum Abkommen stehen und den Kampf gegen den Klimawandel weiterhin aktiv angehen wollen. Und was die USA betrifft: Die Klimapolitik wird sehr stark von den Bundesstaaten, den Städten und den Unternehmen vorangetrieben, weniger vom Präsidenten. Also gibt es de facto nicht den befürchteten und vielbeschworenen Totalausfall der Vereinigten Staaten von Amerika. Dennoch ist es ein harter Einschnitt, ganz klar. Aber wir sollten auch kritisch auf die Entwicklung in Deutschland schauen: In den letzten zwei Jahren gab es keine Senkung der CO2-Emissionen, sondern einen tatsächlichen, wenn auch leichten Anstieg. Das macht uns auch nicht gerade zum lupenreinen Vorbild.
Erfolg beginnt ja oft im Kleinen. Was kann der Einzelne tun, um zum großen Ganzen beizutragen? Was ist Ihr persönlicher Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit?
Wenn ich in Berlin bin, verzichte ich beispielsweise auf ein Auto oder einen Fahrdienst. Es gibt dort ein gutes Nahverkehrssystem, das ich intensiv nutze. Rad muss ich mit meinen nunmehr 79 Jahren nicht mehr fahren, aber den Trend aufs Rad umzusteigen, gerade bei den Jüngeren, kann ich nur begrüßen. Zuhause in Höxter haben wir ein Auto, das wir aber auch nur dann nutzen, wenn es wirklich nötig ist. Und weggeworfen wird möglichst auch nichts, wir versuchen nachhaltig und ressourcenschonend einzukaufen und zu leben, auch in punkto Kleidung. Darüber hinaus sind wir bemüht, den Energieverbrauch in unserem Familienverbund zu minimieren. Weniger ist mehr, lautet die Devise im Kleinunternehmen Töpfer (lacht). Und wissen Sie was? Bewusster und achtsamer mit den Dingen umzugehen bedeutet für uns keine Einschränkung, sondern ist eine echte Bereicherung.