Der Molekulargenetiker Prof. Dr. Christoph Englert untersucht, wie Gene die Entwicklung und das Altern steuern. Im Gespräch mit unseren Kollegen vom fondsmagazin erklärt der weltweit anerkannte Forscher, wo heute noch die Grenzen des Wissens liegen – und warum wir beim Altern als Gesellschaft umdenken müssen.
Herr Englert, welchen Sinn hat eigentlich das Altern?
Leben heißt Evolution – und die findet in einer sich ständig ändernden Umwelt statt, in der sich alle Organismen permanent anpassen müssen. Das gilt auch für den Menschen. Der Mechanismus von Mutation und Selektion funktioniert aber nur dann, wenn die Organismen auch eine endliche Lebensspanne haben. Vereinfacht gesagt: Wenn nicht nur die jeweils am besten angepassten, sondern einfach alle überleben, gibt es keine Evolution. Das Altern und schlussendlich der Tod sind also ganz natürliche Bestandteile des gesamtevolutionären Prozesses.
Was passiert beim Alterungsprozess?
Das Altern vollzieht sich auf ganz verschiedenen Ebenen. Die Zahl der Stammzellen nimmt ab und die Enden unserer Chromosomen verkürzen sich. Wir produzieren mit zunehmender Lebenszeit also nicht nur weniger, sondern auch qualitativ mindere Stammzellen. Hinzu kommt eine ansteigende Mutationsbelastung: Im Erbgut einer „alten“ Zelle sind demnach mehr Fehler eingeschrieben als in einer jungen Zelle, was zum Beispiel zur Ausbildung typischer Krankheitsbilder wie Alterskrebs führen kann. Das Problem: Das Immunsystem tastet diese Zellen, die eigentlich beseitigt gehören, nicht mehr an. Seit Kurzem gibt es bei diesen sogenannten seneszenten Zellen aber wichtige neue Erkenntnisse.
Versprechen diese Erfolg im Kampf gegen das Altern?
In einem Versuch an Mäusen ist es gelungen, diese alternden Zellen sinnbildlich in den Selbstmord zu treiben. Dadurch konnten die Tiere eine höhere Lebensspanne erreichen und waren zum Teil vor altersassoziierten Krankheiten geschützt. Das ist nicht unumstritten und muss sich erst noch bewähren. Doch mit der jüngsten Entwicklung von Senolytika, also Substanzen, die spezifisch diese seneszenten Zellen attackieren und eliminieren sollen, eröffnen sich in der Tat gerade vielversprechende Perspektiven, um den Beschwerden des Alterns eines Tages effizient entgegentreten zu können.
Schwingt da auch der Traum von der Unsterblichkeit mit?
Man kann das Altern eines Tages möglicherweise innerhalb gewisser Grenzen verlangsamen, aber man wird es nie gänzlich aufhalten können. Altern ist ein irreversibler Prozess. Unsterblichkeit mag ein frommer Wunsch sein, an den sich der einzelne Mensch klammert, sie wäre jedoch der Evolution nicht zuträglich.
Gibt es eine Schallgrenze in Bezug auf das Lebensalter eines Menschen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das maximale Alter nie weit über die 120 hinausgehen wird – auch wenn das viele meiner Kollegen anders sehen. Aber bereits in der Antike wurde über wenige „auserwählte“ Menschen berichtet, die dieses Alter erreicht haben. Im 20. Jahrhundert machte dann die Französin Jeanne Calment Furore, die 1997 mit 122 Jahren starb. Und damit das wohl höchste jemals erwiesene Lebensalter erreichte. Die maximale Altersgrenze hat sich also offensichtlich während der letzten 3.000 Jahre nicht merklich verschoben. Was sich hingegen verändert hat, ist die durchschnittliche Lebenserwartung und damit die Zahl der Menschen im mittleren Lebensbereich, also zwischen Mitte 30 bis Mitte 50. Diese starben früher häufiger durch Krankheiten oder Unfälle. Dank der verbesserten medizinischen Versorgung überleben sie heute öfter – ebenso wie Säuglinge und Kinder. Trotz dieser Entwicklung bleiben die extrem Alten die Ausnahme.
Wenn Menschen problemlos altern, schreiben wir das gerne ihren „guten Genen“ zu. Was steckt dahinter?
Vor ein paar Jahren wurde über vier amerikanische Geschwister berichtet, die alle über 100 geworden sind. Offensichtlich war die Kombination von Genen, die diese vier teilten, einmalig. Sie hatten mithin einen exzellenten Pool an Langlebigkeitsgenen, die sie relativ gesund in ein hohes Lebensalter führten. Doch wie und woraus sich dieser Pool final zusammensetzt, können wir derzeit noch nicht benennen. Ebenso bleibt wohl auch die Interaktion von Genen und Umwelt noch auf ¬längere Sicht ein großes Mysterium. Ich denke, unser maximal mögliches Alter ist festgelegt. Die genetische Ausrüstung, die wir von unseren Eltern geerbt haben, gibt uns einen Möglichkeitsraum vor – er ist also vorherbestimmt. Die vielzitierte Lebensführung entscheidet dann aber darüber, inwieweit ich diesen Raum nutzen und vielleicht sogar ausschöpfen kann. Sonst hätte ein Mensch wie ¬Helmut Schmidt, der nicht unbedingt für eine gesunde ¬Lebensführung stand, wohl kaum das beeindruckende Lebensalter von 96 erreicht. Es sind also nicht die Gene oder die Umwelt bzw. Lebensführung, die über unsere individuelle Lebensspanne entscheidet, sondern die Gene und die Umwelt.
Sie spielen aufs Rauchen an. Was läuft denn der möglichen Ausschöpfung unseres genetisch festgelegten Lebensalters noch so alles entgegen?
Nachweislich befördert wird der Alterungsprozess durch zellschädigende Dinge wie Sonnenbrände oder Rauchen sowie – für manche überraschend – einen zu niedrigen Body-Mass-Index im Alter, also mangelnde Fettreserven. Gut hingegen sind regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und, ganz wichtig, stabile soziale Bindungen. Ein fester Lebenspartner und Freunde wirken sich besonders positiv auf gesundes Altern aus.
Fernab rein biomedizinischer oder genetischer Phänomene: Ein langes Leben heißt nicht zwangsläufig ein gutes oder zufriedenes Leben. Was kann unsere Gesellschaft zum guten Altern beitragen?
In erster Linie müssen wir einen Paradigmenwechsel in unserem Altersbild vollziehen. Altern wird in unserer westlichen Kultur immer noch zu sehr mit Krankheit, Verfall und Angst konnotiert – was dem alternden Individuum nachhaltig schadet. Ich plädiere massiv für eine Entdämonisierung des Alters, indem man ältere Menschen wieder mehr einbindet und verstärkt wertschätzt. Die Andeutung „Du wirst nicht mehr gebraucht“ lässt einen Menschen schneller altern als jede Krankheit. Da muss ein Umdenken stattfinden!
Das Interview führte Yorca Schmidt-Junker
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