Weck, Worscht un‘ Woi – vor allem beim Wein kann Rheinhessen als größtes zusammenhängendes Weinanbaugebiet Deutschlands mit einer großen Vielfalt punkten. Immer besser werdenden Qualitäten und guten Anbaubedingungen steht aber ein immer schwieriger werdender Markt gegenüber. Die globale Überproduktion, internationale Konkurrenz und volatile Märkte stellen Winzer zunehmend vor Herausforderungen.
Eine Möglichkeit lokal und regional hergestellte Produkte zu vermarkten, ist der Direktvertrieb. Gerade für kleinere Betriebe ist das oft lohnenswert, da preissteigernde Zwischenschritte, etwa Transport und Vertrieb durch Händler, wegfallen. Doch gilt das auch für Wein? Michael Holzer und Ludger Reffgen haben hierfür einen Blick über den Glas-Rand gewagt und bieten eine Lösung an, die nicht nur den Direktvertrieb erleichtert, sondern auch nachhaltiger gestaltet. Im Interview stellen uns die beiden Gründer, die so gar nicht gründertypisch sind, ihre Idee für zukunftsfähigen Weinvertrieb made in Rheinhessen vor: Bag-in-Box.
Rheinhessen Sparkasse: Herr Holzer, Herr Reffgen, Sie beide haben als studierte Betriebswirte bereits jeder ein ganzes Arbeitsleben hinter sich, dennoch haben Sie sich entschieden, mit Bag-in-Box eine Lösung anzubieten, die es den Winzern hier in Rheinhessen erleichtern soll, Ihren Wein direkt ab Hof zu verkaufen. Wie ist Ihre Idee entstanden?
M. Holzer: Vielleicht liegt es daran, dass wir als Betriebswirte einen besonderen Blick auf manche Dinge haben. Uns sind beim Thema Wein – und insbesondere der Vermarktung – drei Dinge aufgefallen:
Erstens: Es gibt eine auffallende Diskrepanz zwischen der Nachfrage nach alternativen Verpackungen für Wein und dem Angebot. In Deutschland wird Wein ab Hof für Privatkunden überwiegend in Flaschen verkauft. Ein Blick nach Frankreich oder auch nach Skandinavien zeigt, dass dort bereits eine ganz andere Verpackungsform sehr erfolgreich besteht: Bag-in-Box. Auch in der Bundesrepublik wünschen sich viele Kundinnen und Kunden eine Alternative zur Glasflasche. Die immer größer werdende Akzeptanz für alternative Verpackungen ist auch den Winzern bekannt, dennoch sind laut ProWein Business Report 2022 23%der Produzenten eher zögerlich, 60%planen sogar überhaupt keine Maßnahmen zur Veränderung der Verpackung – obwohl nach Einschätzung der Händler bei 53% der Verbraucher explizite Akzeptanz der Bag-in-Box besteht!.
L. Reffgen: Unsere zweite Beobachtung: Alternative Verpackungen sind derzeit für viele Winzer nicht attraktiv. Dafür gibt es wiederum zwei Gründe: Einerseits wollen viele Betriebe, völlig zu Recht, ihre Identität bewahren und hochwertig produzierte Weine nicht als anonymen Fasswein an Kellereien verkaufen. Gleichzeitig lohnt sich das Abfüllen in alternative Verpackungsformen oft nur bei großen Mengen. Die rheinhessischen Winzer sind mittelständische Betriebe,oft auch kleinere Familienunternehmen, teilweise auch im Nebenerwerb. Da kommen dann aber nicht die erforderlichen Mengen zusammen, um wirtschaftlich arbeiten zu können.
Und drittens wird auch der Punkt Nachhaltigkeit immer wichtiger. Eine Glasflasche hat Vorteile: Sie sieht gut aus, ist einigermaßen stabil und jeder kennt sie. Andererseits erzeugt die Herstellung einer Glasflasche für Wein eine große Menge CO2: Die Standard-Weinflasche wird im Altglas-Kreislauf transportiert, gereinigt, zertrümmert, sortiert und wieder transportiert bis die Scherben schließlich energieintensiv eingeschmolzen und zu einer neuen Flasche gegossen werden. Anschließend geht es über den Handel und die Abfüllung in den Verkauf. Bilanz: rd. 700 gr CO2 pro Liter. Im Vergleich dazu benötigt die Bag-in-Box bis zu 90% weniger CO2 , nämlich 68 gr CO2 pro Liter – und ist damit eine echte Alternative!
Rheinhessen Sparkasse: Das klingt nach einer spannenden Alternative zur herkömmlichen Glasflasche. Können Sie uns erklären, wie Bag-in-Box genau funktioniert?
M. Holzer: Natürlich gerne. Bag-in-Box besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: Ein flexibler Kunststoffbeutel mit Ventil und ein Karton als Außenverpackung. Der Kunststoffbeutel ist ein sogenanntes „immervoll“-Behältnis. Wenn Wein entnommen wird, verringert sich in gleichem Maß das Volumen des Beutels, es gelangt aber keine Luft von außen hinein – anders als bei der Flasche. Diese Luft, genauer der darin enthaltene Sauerstoff, setzt durch Oxidation dem Wein zu. Da bei Bag-in-Box keine Luft in den Beutel hineinströmt, hält sich der Wein mit unserer Alternative viel länger als in anderen Verpackungen. Wir bieten unsere Bag-In-Box mit einem Volumen von drei Litern an. Unsere Box passt außerdem in die Kühlschranktür. Leere Box und Beutel können einfach getrennt und komplett dem Wertstoffkreislauf zum Altpapier und der gelben Tonne zugeführt werden.
Rheinhessen Sparkasse: Welche Vorteile bietet Bag-in-Box für die Winzerinnen und Winzer noch?
L. Reffgen: Da gibt es einige. Ich fange mal mit der Identität eines Weinguts, dem Aushängeschild, an. Unsere Bag-in-Box kann auf Wunsch komplett individuell gestaltet werden. Vom einfachen Etikett auf dem Karton bis hin zum vollflächigen Digital-Druck sind der Kreativität und dem Gestaltungsspielraum keine Grenzen gesetzt. Über die Bag-in-Box ist auch die Erschließung neuer Kundengruppen möglich. Wir halten einerseits natürlich die Reduzierung des CO2-Ausstoßes für ein wichtiges Argument. Aber es gibt ja auch ganz pragmatische Gründe, auf Glas zu verzichten: Unterwegs ist Glas nicht immer die beste Wahl, Flaschen sind schwer und lassen sich oft nur schwierig verstauen, zum Beispiel beim Camping. Mit unserer Lösung reduzieren wir das Gewicht der Verpackung im Vergleich zu einer Glasflasche um 95%.
Dann gibt es ja aber auch Bereiche, in denen ist Glas aus Sicherheitsgründen verboten, bei Festivals oder anderen öffentlichen Veranstaltungen. Mit der Bag-in-Box gibt es dort keine Probleme.
Und dann natürlich noch die Transport- und Lagerkosten. Der Transport von Flaschen bringt auch viel ungenutztes Volumen mit sich: Zwischen den Flaschen ist immer auch viel Luft, egal, wie sie verpackt sind. Bei der Nutzung von Bag-in-Box sinken die Transportkosten um 30%, da unsere Boxen einfach gestapelt werden können und randvoll mit Wein sind, ohne dass Transportvolumen ungenutzt bleibt. Auch im Versand als Paket, ist Bag-in-Box günstiger.
Rheinhessen Sparkasse: Bestimmt gibt es aber auch Vorurteile, die Ihnen begegnen?
M. Holzer: Natürlich. Wie bei jedem neuen Produkt gibt es immer Skeptiker, die überzeugt werden wollen. Das ist beim Wein nicht anders. So war für Jahrzehnte die Glasflasche mit Korkverschluss der Standard. Neben dem hohen Ressourcenverbrauch und der schlechten CO2-Bilanz war damit immer auch das Risiko verbunden, dass ein schlechter Korken den Wein ungenießbar macht. Als Lösung kamen dann vor einigen Jahren Glasverschlüsse auf den Markt, damit war das Risiko des Korkens ausgeschlossen. Die CO2-Bilanz war aber immer noch nicht gut. Heute gibt es hochwertige Schraubverschlüsse, diese bestehen aber auch aus Metall und Kunststoff. Aber auch diese Veränderung brauchte seine Zeit, bis sie sich im Markt etablieren konnte. Das Kernproblem aus Nachhaltigkeitssicht bleibt jedoch die Glasflasche. Bei all diesen Veränderungen haben Skeptiker den Geschmack als Kriterium angeführt. Das ist ja auch verständlich, denn Wein soll ja schmecken. Und was den Geschmack angeht können wir alle Bedenken zerstreuen: Wir haben viele verschiedene Blindverkostungen durchgeführt. In aller Regel konnten die Tester nicht am Geschmack erkennen, ob der Wein aus einer Glasflasche oder aus unserer Bag-in-Box kam. Das bestätigt übrigens auch die hohe Akzeptanz im Ausland. Im Gegenteil: in einer geöffneten Glasflasche verändert der Wein durch den hineingelangten Sauerstoff schon nach wenigen Tagen seinen Geschmack. Die Bag-in-Box bietet eine lange Produkthaltbarkeit und -frische durch Ausschluss von Sauerstoff und Licht, circa zwei Jahre ungeöffnet und bis zu acht Wochen nach „Anbruch“.
Rheinhessen Sparkasse: Wie wird die Bag-in-Box in Rheinhessen angenommen?
L. Reffgen: Wir haben eine ständig steigende Nachfrage. Während bei anderen Lösungen hohe Transportkosten und große Abnahmemengen eine Hürde darstellen, bieten wir mit Bag-in-Box auch das Abfüllen kleinerer Mengen an. Dazu haben wir uns eine eigene Abfüllanlage gekauft, mit der bis zu 200 Boxen pro Stunde mit je drei Litern Inhalt gefüllt werden können. Wir bringen zudem alles mit auf den Hof: Beutel, Boxen, Abfüllanlage und alles, was nötig ist, um direkt loszulegen- eine echte Abfüll-Manufaktur. Dadurch wird der Umstieg ganz leicht und für viele Betriebe möglich.
Rheinhessen Sparkasse: Welchen Stellenwert haben wir als Rheinhessen Sparkasse für Sie als Unternehmer bei Ihrem Vorhaben?
M. Holzer: Sie haben ja bereits richtig erkannt, dass wir nicht die klassischen Gründer sind, die am Anfang des Berufslebens mit einer Idee durchstarten. Unser Antrieb war es, regional einen Unterschied zu machen, daher kam für uns auch nur ein regionales Kreditinstitut in Betracht. Zudem habe ich vor meinem BWL-Studium ja auch mal in Ihrer Sparkasse gelernt…
L. Reffgen: Wir schätzen zudem sehr, dass wir für die Abwicklung unserer unternehmerischen Bankgeschäfte einen festen und kompetenten Firmenkundenbetreuer haben. Wir fühlen uns gut aufgehoben und können uns dadurch voll auf unsere Boxen konzentrieren.
Rheinhessen Sparkasse: Herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick. Weiterführende Informationen zu Bag-in-Box sind auf www.bib-online.de erhältlich.